Zum Hauptinhalt springen

Jimi Hendrix in Berlin

·784 Wörter·Als PDF lesen

Treffen sollte ich ihn im Kempinski schon absurd früh, 7:15 Uhr. »Rather add a quarter of some buffer. One never knows, do we?« Wissen kann man’s nie, klar, aber ein Interview so früh am Morgen nach dem Super Concert ‘70 schien mir ein arg ambitionierter Fall von carpe diem zu sein angesichts der am Boulevard kolportierten langen Nächte von Rockstars, zumal in Berlin.

In Erwartung von ein paar Viertelstunden Wartezeit hatte ich vier Nummern des F&SF aus den 50ern eingepackt1 mit je einer Kurzgeschichte von Ward Moore, auf dessen Prosa Hendrix angeblich stand. Schadet nie, einen Seitenpfad des Interviews kundig mitgehen zu können, im Zweifelsfall kommt ein spin-off raus oder ein Radiofeature, und Moore kannte ich nur vom Hörensagen von der Vorlage für den halbgaren Panic in Year Zero. Falls das Gespräch schleppend verlaufen wäre, hätten ein paar Science-Fiction-Heftchen es beschleunigen können. War aber gar nicht nötig.

Hendrix saß schon im Foyer beim zweiten Kaffee, mindestens, ein Kellner in schwarzweiß tauschte gerade eine leere gegen eine volle Tasse, und Hendrix bestellte »another one, it’s really good, and one for my guest.« Und zu mir dann:

– I hope you’re not flat on coffeine – he’ll take his time.

Die Nacht war kurz für ihn gewesen, wie eigentlich jede Nacht auf eigentlich jeder Tournee:

– It’s just in my girlfriend’s bed that I use to sleep well. But then, of course, I’m almost never home with her. With any of’m. Even less so since Kathy’n me broke up.

Vermutlich weil er „zuhause“ die Amphetamine ein wenig runterfuhr, aber ich war wegen der Musik da, nicht wegen seiner Schlafgewohnheiten. Die Wendung zum Funk der Band of Gypsies hielt ich für einen Irrweg, den Hendrix verteidigte mit Verweis auf seine afroamerikanischen Wurzeln – »the topic of heritage got more’n’more important for me, not less, y’know« –, auch sehe er eine gewissen musikalische Konsequenz im Wechsel vom Wah-Wah zu elektrischer Abmischung im Studio.

Ich legte ihm nahe, es im Gegenteil mit klassischen Gitarrentechniken zu versuchen, um seinen Stil weiterzuführen. Verzerrung, Verfremdung und Effektverarbeitung würden umso härter in die Ohren schneiden, je präziser das Ausgangsmaterial modelliert sei. Präziser als die Spielweise von klassisch geschulten Konzertgitarristen komme man auch 1970 nur im elektronischen Studio hin. Hendrix war skeptisch:

– I don’t do the notes thing, man …

Darauf kommt es nicht an. Die Noten könne man lernen. Geht ganz schnell. Kinder lernten das sogar.

– Children, sure. Children learn a lot, y’know. I mean, in a way that’s the only thing they do, „learn“, ain’t it?

Ja, in a way. Trotzdem.

– But there were so many before me. It’s where I departed from. Not a place to return to, y’know.

Ich wusste es, denn ich hatte es bei ihm gehört. Nicht vorstellbar war, wohin er diesen teufelsgitarristischen Stil noch würde entwickeln können. Dass es eine neue Klarheit in der Tradition von Jahrhunderten sein würde, die ihn, den Verschmutzer der Akkorde, den Verbrenner von Gitarren, zu neuen Komplexitäten führen werde. Andererseits gefragt: Was denn sonst, angesichts des bereits Erreichten?

Nicht vorstellbar, wohin er es noch entwickelt hätte. Auch hier schien ein Weg bereits zuende gegangen, der es nicht war.

– I believe in amassing things, y’know. In layers, as long as they’re dense.

Ich verstand, und ich erzählte ihm von einem alternden spanischen Gitarristen, anderthalb Jahrzehnte älter als Hendrix, der sich eine zehnsaitige Gitarre gebaut hatte, aber ohne Saitenpaare mit Oktavverdoppelung. Sondern mit zehn Saiten, die unabhängig voneinander geschlagen werden.

Die zehnsaitige Konzertgitarre hat – in der von Yepes und Ramírez konzipierten Stimmung – zusätzlich zu den sechs Saiten in Standardstimmung (E – A – d – g – h – e’) eine tiefere Saite in C und darunter drei höhere und primär resonanzverstärkende Saiten in F#, G# und A#. Mit der somit entstehenden Stimmung verfügt die Gitarre unter Einbeziehung des jeweils zweiten Obertons der tiefen Saiten über sympathische Resonanzen für alle 12 Töne der chromatischen Tonleiter: F# (2. Oberton: c#’) – G# (d#’) – A# (e#’) – C – E – A – d – g – h – e’.

– Man, those notes, I mean …

– You don’t need to read them, just like your six strings. Yepes also just plays them.

– So it’s ten different notes in a chord? No shit?

– He invented it himself, I seem to remember. Narciso Yepes.

– No shit. Ten notes.

Hendrix sprach repetitiv. Er war Musiker. Ich sah die Muster in seiner Rede nicht, aber ich vermute welche. Denn ich sah die Muster in seinem Blick auf einen abwesenden Gitarrenhals an seiner rechten Hand. Dabei unterstelle ich mir kein hermeneutisches Wohlwollen. Und keine Fantasie.


  1. Anthony Boucher et al., The Magazine of Fantasy & Science Fiction. Hoboken 1949 ff. ↩︎