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Schubert das Schaf. Eine Prosa. Teil II

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Das dicke Dingsi 

Negative Schallwellen 
durch-
dringen
das
dicke
Dingsi
bis es 

schwebt, ab-
hebt 
und 
Das dicke Dingsi 
                fliegt hinaus 
                       hin-
                    ein
                in 
    die Ohren 
der Neu-
geboren-
        en. 
Setzt 
sich 
fest

und wächst 
            mit. 
Das dicke Dingsi 
sitzt tief drin. 

Josefa, 
die nun sieben ist, 
trägt eines, 
    und Piet
    und Abderrahman. 

Aber 
    Emilia, 
    Schneider
und Wolfgang 

nicht. 
Dicke Dingsis 
haben 
    rote Augen 
    rotes Fell 
und rote 		
    dicke 
          Füße. 

Kurz
bevor 
      sie platzen 
                  krabbeln sie 
aus der Nase 
            heraus 
und dann: 

ist es aus. 

Endlich habe ich mal wieder Gedichte geschrieben. Nach monatelangem Nichtdazukommen tut es richtig gut, mal das Gehirn zu entspannen und Gedichte herauszulassen wie böse Geister. Gedichte sind so ein bisschen wie Pupse des Gehirns: ist eines endlich mal draußen, lockert sich die Kopfhaut und die Synapsen drücken nicht mehr so gegeneinander. Oder japsen.

Verschiedenes. Verschiedenes ist die Antwort auf eure Fragen. Oder wenn ich denke: hier und jetzt, dann denke ich: hier uns jetzt. Verrückt, nicht wahr?

Ich bin Schubert das Schaf, bald 34 Jahre alt und habe immer noch keine roten Haare, obwohl ich mir das so sehr wünsche und mir derweilen auch einbilde. Manchmal sehe ich mich mit einer wuppigen, wolligen roten Haarfrisur, leicht übers Gesicht wuschelnd, eventuell zöpfig, im Spiegel. Aber es soll wohl nicht sein. Meine Frisöse färbt die Haare jedesmal wieder wollweiß, obwohl ich ausdrücklich darauf bestehe, ich möchte rote Haare haben. Sie sagt dann immer: „Das wäre ein Schock für Ihr Umfeld“.

Aber ich will doch schockieren! Ich will wie ein lustiger Schock herumlaufen und auffallen und kreischen und Erstaunen hervorrufen. Zottelig, wuschelig und ganz, ganz rot. Wie Pumuckla, aber in riesig und mit dicken Backen.

Oder dicke Dingsis erfinden, die sich in Leuten festsetzen und fast zerplatzen.

Ich glaube, meine Oma war auch so ähnlich, als sie fast 34 war. Und während sie unter meinem Schreibtisch sitzt und mich beim Schreiben beobachtet – als eine Art Skelettgeist, aber ganz extravagant gekleidet – manipuliert sie meine Gedanken. Wider willen, natürlich. Wahrscheinlich möchte sie mich nur drücken und liebhaben und ist frustriert – wie schon zu Lebzeiten, dass ich das nicht auch will. Ob sich die Geschichte wiederholt?

Will ich nicht auch Schubert fest drücken, im Quasiland, den ich mir von Tag zu Tag in mein Comicbuch zeichne, wie er im Gefängnis sitzt und als Hacker arbeitet? Will ich ihn nicht umarmen, streicheln und mit der Bettdecke sanft zudecken, wenn er eingeschlafen ist? Will ich nicht auch ins Quasiland schlüpfen, alles miterleben, und beispielsweise als Gefängnisaufseherin arbeiten, um Schubert nahe zu sein? Aber es geht nicht. Ich bin ein echtes Schaf, in dieser Welt, ich bin nicht gezeichnet und kann nicht so wie ich bin da hineingehen. Das muss auch für die Toten um uns herum ein unendliches Leid sein, dass sie ihre Lieben und Nachfahren nicht drücken können, oder umarmen, oder umbeinen und küssen. Oder einfach mit ihnen reden. Ihnen Tipps geben. Es muss sehr einsam sein, ohne diese ganzen Möglichkeiten.

Außerdem möchte Schubert vielleicht gar keine Freundin haben, wo er doch jetzt seinen Hund hat. Wer einen Hund hat, hat schon einen besten Freund.

Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, ins Quasiland zu gehen, um es herauszufinden. Wenn ich mich selbst hineinzeichne. Aber dann habe ich ja nur eine Zeichnung von mir gemacht. Dann bin ich da ja nicht drin, sondern eine Zeichnung von mir, ganz nach der Devise: Ceci n’est pas un mouton. Und ist nicht Schubert im Quasiland irgendwie dergleiche Schubert, den ich zeichnen würde, wenn ich mich hineinzeichnen würde? Ist Schubert nicht irgendwie mein alter Ego? Oder bin ich er vielleicht selbst, will ich ein zotteliger, krimineller Hackerbock sein? Dann gäbe es zwei gezeichnete Schuberts im selben Gefängnis.

Gut möglich. Alles Fragen, die kommen, wenn man allein ist. Heute ist mein Lamm zu seinem Papa gefahren, sechs Stunden mit dem Zug. Wie einsam es ohne ihn ist. Wie leise. Und wie langsam – die Zeit vergeht.