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Theodor Stom

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Theodor Stom muss erst einmal eingeführt werden, bevor er richtig beschrieben werden kann. Hier also die Einführung seiner Beschreibung, damit seine Persönlichkeit ausführlich dargestellt und wiederum ein- und dann ausgeführt werden kann (also die Beschreibung, nicht die Ausführung, und nicht die Einführung): Es handelt sich um eine Abbildung, um ein Bild des Ganzen.

Theodor Stom wird lächerlicherweise nie mit Theodor Storm verwechselt, obwohl das auf den ersten Blick der Inhalt der Handlung bzw. der Beschreibung seiner Figur und deren Beschreibung hätte gewesen sein können.

Nein, Theodor Stom war ein kleiner, hagerer, rothaariger, schüchterner und konfliktvermeidender WAAW-Lektor in Islamabad, wo er bereits seit 7 Jahren lebt. Seinen Lebensmenschen, die um 17 Jahre ältere Ariane Atopoda, hat er noch nie in echt getroffen, sie kennen sich nur online und genauer gesagt per Zoom (seit fast drei Jahren erst, denn vorher war sie lange mit jemand anderem zusammen) und anderen Streamingtelefonieanbietern, je nachdem, was auf diese Entfernung und mit den Netzschwankungen besser funktioniert. Sie unterhalten sich ganze Nächte, ganze Stunden, ohne Unterlass, - lang - und wenn sie nicht gerade zoomen, dann schreiben sie sich etliche und unetliche und zahlreiche Textnachrichten, in denen sie sich belustigen und sich das Leben verschönern, manchmal auch nicht, denn manchmal sind die Nachrichten neutral, oder es sind Links irgendwohin, oder irgendwoweg, oder es sind Youtube-Videos oder es sind Fotos von Theodors Bonsaizüchtung. Ariane ist ihm so sehr ans Herz gewachsen, dass er sie sehr vermissen würde, würde sie beispielsweise an einem Herzinfarkt oder an einem Gichtanfall (sie hat nämlich die Gicht) sterben, oder würde sie ihn verlassen, weil er ihr nicht mehr genügt, oder ihr zu viel ist, oder er ihr nicht aufmerksam zugehört hat, denn das gefällt ihr nicht so sehr, wenn sie sich Mühe gibt und ihre Worte schwer wiegt, damit sie gewogen sind, und Theodor dann einige übergeht oder vergisst oder wegen seiner anderer Pflichten, vor allem der Erziehung seiner lebhaften Tochter Karussell wegen, nicht immer so ganz auf der Höhe ist und manche Textnachrichten unkonzentriert nur lesen kann und unweigerlich – aber ohne das eigentlich nachlässig gemeint zu haben – missversteht.

Dass Ariane eigentlich Glatze hat, weiß Theodor gar nicht, dass sie eine Perücke aufhat, mit einer Hippiefrisur, das weiß nur die allwissende Erzählerin, die hier allermaßen allzeitig auftritt und gerne wissen lässt, und grüßen, von sich, dass sie auch über sich gerne etwas erzählen würde, wenn es hier nicht um Theodor Stom ginge, den sie nun weiter zu beschreiben versucht, obwohl ihre narzisstischen Züge wie Baumadern durch die Straße immer wieder dazwischenwachsen und hervorstomern.

Theodor hatte einen bizarren Traum, den die allwissende Erzählerin genießerisch mitbeobachtet hat, während sie einen laktosefreien Vanillejoghurt aß und sich fragte, wen sie mit dieser sinnlosen Geschichte quälen würde, wenn nicht ihren Lebensgefährten, der ab und an oder immer oder meistens doch gründlich ihre Texte las, weil er mit ihr diese Texte, die sie schrieb, auf einer gemeinsamen Internetseite veröffentlichte.

Der Traum ging so: Theodor wird rücklings von einer Insel in den Himmel getrieben, wie der Engel der Geschichte, so in etwa, oder so ähnlich, irgendwas erinnert ja immer an Walter Benjamin, zum Beispiel auch dieser Traum hier, und Ariane sitzt unten und guckt Theodor kritisch dabei zu, wie er da nach oben katapultiert wird. Dann sitzen sie beide festgekettet in einem Schloss aus dem Mittelalter, etwa aus dem Jahr 1147, es ist kalt, und Theodor weiß nicht, ob Ariane schläft oder erfroren ist, denn er hat noch nie gesehen, wie sie schlafend aussieht, eigentlich, das fällt ihm in diesem Moment übrigens auch auf, plötzlich knallt die schwere Eisentür auf und ein rosanes Monster mit einer Hähnchen- oder Birnenkeule kommt hereingehüpft, und das Schloss wackelt, und das Monster guckt mit grimmigen Augen in Theodors Gesicht, und aus dem Hintern des Monsters hängt eine lebendige Schlange geraus, die ihn anzischelt, während er andere Monster hereinkommen hört und ein Matschgeräusch, als würde etwas zermatscht werden, und in genau diesem gruseligen Moment wacht Theodor auf, mit großen beängsigten Augen, und wird von Karussell, seiner 8-jährigen Tochter angelacht, die wie das Monster auf seinem Körper und auf dem Bett und überhaupt auf ihm herumhüpft, und an seinen Füßen kitzelt, und „Aufstehen!“ schreit, freudig-lachend, weil der Morgen so schön durchs Fenster leuchtet und sich normale Menschen das nicht entgehen lassen, so einen leuchtend-roten Moment, aber Theodor fühlt sich, als läge ein Stein auf seinem Körper, und noch eingrößerer auf seinem Kopf, der ihn daran hindert, aufzustehen, geschweige denn zu lachen oder irgendetwas zu sagen oder denken zu können zu wollen zu müssen.

Und was soll uns diese Geschichte, die keine war, und vielleicht eine oder keine werden wird, zumindest aber nicht gewesen sein kann, lehren?

Nichts.