Dieser Mann scheißt auf Deutschland
Sie hatten Achim aus dem Kontext zitiert, natürlich. Und nicht genug: sie hatten das Zitat wenn nicht frei verfälscht, so doch zurechtgebogen oder eigentlich erst hinkonstruiert als einen Strohmann von einem Zitat, auf den sie nun eindreschen konnten. Das allein war nicht weiter ärgerlich, wäre beinahe nicht der Rede wert gewesen, die BILD – und Achim vermeidet sorgsam in jedem Gespräch, öffentlich wie privat, für sie den Begriff der Zeitung zu verwenden,
Welchen denn sonst?
»einfach nur BILD, bitte«, sie sei eine Zeitung ja doch nur in einem sehr weiten Sinne des Wortes, woran auch die Allpräsenz der BILD auf dem Feld des Sportes, leider gerade seinem, Achims, eigenen Feld, in den 71 Jahren seit ihrer Erstausgabe nichts geändert habe – diese BILD sei gerade für das Verzerren von Sinn und Fakten durch schiefe bis falsche Zitate bekannt, so dass dieses doch, zumal Achim und seine Managerin Kate Quinn sich bereits geeinigt hatten auf das Abwürgen jeder Debatte und den Verzicht auf jeden Kommentar zum Flachsinn während mindestens der Dauer der Tour de France 2022, allenfalls eine Fußnote im Radrennsport geblieben wäre und ein mediales Strohfeuer auf der rechten Flanke der deutschen Medienlandschaft, hätte man Achim nicht deshalb binnen zwei Tagen drei Sponsorenverträge gekündigt, eine Woche später einen vierten
Also bitte. Kann man das so einfach?
ebenfalls außerordentlich gekündigt wegen »Imageschadens aufgrund groben öffentlichen Fehlverhaltens«.
Diese Kündigungen zwangen zum Handeln, denn sie bedeuteten womöglich mittelfristig sportrechtliche Insolvenz: Nach einer Verletzung im Winter 2021 hatte Achim nur schwer zu seiner vorpandemischen Form gefunden, noch sein 74. Platz beim kürzlichen Giro d’‘Italia enttäuschte sportlich wie finanziell, Preisgelder fehlten seit zwei Jahren, so dass die Außenstände für den Tour-Betrieb plötzlich aus privatem Vermögen beglichen werden müssten, sollten die Sponsoren den aufgelaufenen Rechnungen tatsächlich die Zahlung verweigern. Auf den Rechtsweg bliebe in solchen Angelegenheiten wenig zu hoffen, Klagen dauerten zu lange, Achims Ruf wäre angeschlagen und vom Anschlagen noch mehr angeschlagen, System Schufa, irgendwas bleibe immer hängen, womöglich auf Jahre. Es galt, das Gesagte öffentlich richtigzustellen, am besten erneuerte Sympathien einzuwerben, und das Maß der Öffentlichkeit musste breiter sein als das der BILD, so dass leider dem Deutschen Fernsehen Avancen gemacht werden mussten, auf vielen Kanälen, privat wie öffentlich, was bei der Nischensportart Radrennen schwierig war trotz des Strohfeuers erhöhter Aufmerksamkeit in den späten 1990er Jahren, um klarzustellen, worum es beim »Scheißen«-Zitat gegangen war und gehen sollte, und dass nun gerade auf den saubersten Radrennprofi Europas eine Ladung Dreck gekippt werden sollte aus politischer Motivation.
Denn schon seit längerem schwelte eine verstreute Kampagne politisch rechter Zeitungen
Zeitungen nun doch?
vermeintlichen wie tatsächlichen Zeitungen, darin steht die BILD nicht allein in der Bundesrepublik, gegen den Radrennfahrer Achim Tressl, eben weil der nicht überall seine Notdurft verrichte, wo die Natur ihm komme, und weil er ohnehin nicht einfach mitlaufe, sondern seine Medien auswähle nach deren Gesinnung und seine Gesprächspartner:innen nach deren Kompetenz, die erfreulich häufig in Persönlichkeiten sich manifestiere, die mit seiner eigenen Gesinnung harmonierten und seinen linken Prinzipien. Achim war in der DDR geboren, darauf habe er seit je Wert gelegt, sei beinahe darauf herumgeritten als einer der wenigen, die sich nicht vom Kommunismus – und er bestand bei aller wenn auch verhaltenen Sympathie für die parlamentarische Linke auf dem Begriff des Kommunismus – abgewandt haben, sondern ihn als die überlegene, wenn auch nicht die beste Gesellschaftsformation erachteten. Weshalb selbstverständlich er im Visier der – auch parlamentarischen – Rechten stehe. Mit Freuden stehe, streitbar, immer sportlich. Unsportlich sei es hingegen, aus der Antipathie gegen die schlechten Verhältnisse einen Strick ihm drehen zu wollen aus seinen eigenen Worten, sein Nest habe er nie beschmutzt und werde es auch nicht tun, und dieses Nest sei, nolens volens, Deutschland. Tatsächlich gesagt habe Achim, und man möge das in den Archiven der Medien bitte verifizieren, der Wortlaut sei von France Télé in Dunkerque
Ausgerechnet Dünkirchen?
doch sicher aufgezeichnet und aufbewahrt worden. Denn geantwortet habe Achim Tressl auf die Frage der ihm unbekannten Fernsehjournalistin eben nicht, er scheiße auf Deutschland. Gesagt habe er – wohlgemerkt kurz nach dem Grenzübertritt, gegen Ende der ersten komplett auf französischem Boden sich erstreckenden Etappe der Tour de France –, soeben nach Entleerung seines Enddarms aus dem Gasthaus Le Cap gekommen, dessen Speisekarte der Meeresnähe angemessen dominiert werde von gekochten Meerestieren, er sei in Frankreich zu Gast und werde »ganz gewiss nicht auf offener Fahrt seine Notdurft verrichten und auf dieses schöne Land scheißen, sondern auch weiterhin bei jedem großen Bedürfnis die Toilette eines Gasthauses aufsuchen und für jedes kleine Bedürfnis zumindest einen zu düngenden Busch oder Baum.« Den daraus resultierenden Zeitverlust nehme er gerne in Kauf, schon aus Höflichkeit gegenüber der Gastgebernation mit ihrer langen humanistischen Tradition gerade auch auf dem Gebiet der Leibstühle und Toiletten, woraufhin die Fernsehjournalistin ihn gefragt habe, er geantwortet, »nun ja, zuhause in Deutschland scheiße ich schon manchmal draußen, aber nur ganz weit draußen auf dem Land.«
Und nicht nur als seine Managerin, sondern auch als seine Freundin wolle Kate Quinn ergänzen, dass sie wirklich und immer öfter mit eigenen Augen seither die neuen Falten an Achim Tressls trotz seiner 33 Jahre sonst so glatten Sportlerstirn bemerke, in welche der Kummer um seine geringe Achtsamkeit gegenüber dem Land seiner Mütter und Väter sich in den vergangenen Wochen eingeschrieben hatte.