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Stomatopoda

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1 #

Schon wieder den Text vergessen. Das wird nichts mehr mit dem. „Von ihm an jenes Fräulein."

– Ah oui: „Von ihm an jene Fraulahn"!

Echt jetzt? Natürlich nervt da die Lillier:

– Le texte, Jérome! Il est grand temps d’apprendre ton texte. Et fais attention aux intonations: c’est ›je-ness‹ et ›Freu-lein‹. Kamila, continue, s’il te plaît.

– Von wem an welches Fräulein? S’il te plaît … s’il te plaît fürn Arsch, wenn man dauernd unterbrochen wird.

– Vom gned’en Herrn Biron bin ich ‘ie’er gesohnd, / An eine Dam–ö aus Fronkreisch, Lady Rosaline genont.

– Bien, Jérome! Élise, Denis, à vos marques!

– Der Brief ward falsch bestellt. Ihr Herren fort von hier! / Begnüge dich, mein Kind, bald wird der rechte dir. Schön wär’s …

– Trèstrèsbien, Kamila! J’aime beaucoup ton air d’impatience dans cette scène!

Endlich ab. Mit Jérome dauert jede Szene dreimal so lang. Und er durfte mich auch noch fett nennen …

– O sprich, wer ist der Geschoss’ne?

Wo hab ich meine Jacke hin? Papa ist auch schon da. Schon lang.

Aber er sagt ja immer, dass ihm das Spiel gefällt, die Proben besser als die Stücke.

– Sag iks euch frei und offn?

– Ja, Ausböhnd aller Schön’ette.

Schäkert seit einer Viertelstunde mit Salo. Die glauben wohl, wir könnten sie nicht hören. Ts. Alle sehen ihn und hören ihn.

Was reden die so lang?

Salo baggert Papa wieder ganz schön an. Was denkt die sich.

Seit er mit uns ›American Beauty‹ geschaut hat, wanzt sie sich so an ihn ran. Genau wie ihre Mutter. Die hat doch keine Ahnung.

Null Ahnung, echt.

Aber irgendwas ist da zwischen ihm und Suzanne.

Naja, geht mich nichts an.

– Der ‘irsch, den sie getroffen. Schön apparat.

– Ab-pa-riert! On a déjà parlé de ça, s’il vous plaît.

– Die Prinzessin-ö schießt-ö nak Wild; doch wirst einst du ’eiraten-ö. / Zehn gegen eins, dass in das Jahr die ‘orner trefflisch geraten! Parie-re dönn!

– So ‘ört, isch bin-ä die Geschossn.

– Und wer ist der – hein, Schäkär?

– ›Jäger‹

– Wer ist der Ye–guer all’i? ––

– Er trägt sein Horn an der Hüfte, und nischt am Kopf wie ihr. / Pariere dän!

– Ihr ruht nicht, bis sie euch trifft; wahrt euch die Stirn mit dem ‘ut!

– Sie selber traf man tiefer schon: nicht wahr, da zielt’ ich gut?

– Du kohnst nicht träfn –

– „Kannst nicht treffen“!

Oh Gott, das ›treffen‹ wieder. Jedes Mal …

Wo ist die blöde Jacke?

Ach, Papa hat sie.

Vielleicht macht die Jacke mich fett, ist ein bisschen weit.

Als wär ne Prinzessin fett, noch dazu eine aus Frankreich. Schwachsinn.

– Du kannst nicht träfn –

– „Treffen“!

– träfön!

– „Treffen“!

– treffen!

– C’est ça.

– Du kannst nischt träffen, mein guter ‘ans.

– Schon gut, isch kann nischt,

– „Ni-ch-t”!

– kann ni-cht, kann ni-cht; / Kann i-ch es ni-cht, nun einer andrer kann.

2 #

- Daheim laufen die Proben besser.

- Tu trouves? Anders jedenfalls. Personne n’intervient.

- C’est pas ça. On est moins décontracté.

- Moins? Comment ça? Il y’a les parents …!

- Ouais – mais c’est exactement ça: on a des spectateurs, donc on est plus concentré.

- Ah, verstehe. Hier ist es Unterricht. Schule.

- Genau!

Das hat sie sowas von abgekupfert, dieses ›genau!‹

Und Trotz. Gegen die Lehrerin, frühpubertär. Oder voll pubertär, wer weiß. Kamila beschwert sich später wieder, Salomé hätte mich angebaggert. Tatsächlich streicht sie sich dauernd die Haare hinters Ohr.

»C’est joli, parler familier comme ça.« Ich mag’s schon selber nicht mehr sagen, so oft bringt sie das.

»Du bist Single, Papa, klar versucht sie da was.« Klaaar, tsss. »Versuchen sie alle.« »Deshalb bin ich Single, klaaar – das Überangebot! Kann mich nicht entscheiden, wa?« »Ne, du hast dich schon entschieden. Jetzt bist du spannend.« »Spannend ist eher, wie du auf strenge Kontrolle der Jugendfreiheit im Kino reagieren wirst, Lady …« »Wieso Kino?« »So verquastes Zeug siehst du doch nicht bei deinen Freundinnen daheim.« »Wer weiß. Was heißt _verquast_?« »_Schräg_. Oder _wirr_.« »Ah, _embrouillé_. Oui. Mais j’ai presque 12 ans, tu sais. Ab 12 kommen wir locker rein.« Stimmt, sie wird im Herbst zwölf, Wahnsinn. Salomé auch. Voll pubertär. »Stimmt. Und ich bin nicht Single: ich hab dich.« »Oho …! Isch kämpfe um-a disch-a, mon amour!« Sagt Renata auch immer. Genau das. Nur mit polnischem Akzent. – Was räumt Kamillo eigentlich so lange rum? Ich muss noch was arbeiten heute.

Salomé lächelt breit. Oder spöttisch? Was!?

- Das ist Yasemins Jacke. Der von Ka liegt auf seinem, äh … son cartable.

- Ihrem Ranzen. Ach so? Ich dachte …

Blödsinn, das ist Kamilas Jacke. Obwohl …?

- Ihrem Ron-sène.

Und die Strähne hinters Ohr und die Zähne beim Kichern nach vorn. Der Akzent macht mich auch kichern.

- Très bien. Ein blödes Wort.

– Ouais. Und eine blöde Jacke. Tout le monde a le même modèle cette saison. Pas moi …

Voll pubertär. Noch ein blödes Wort. Alle drei.