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Stomatopoda

Ein Waff für Wuff

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Fassung für Leser/innen ab 11 Jahren

Fassung für Leser/innen ab 11 Jahren

»Hast du das gesehen?!«

Paul guckt ganz aufgeregt durch die Tür. Freut er sich? »Was?«

»Die neuen Nachbarn! Sie haben einen Hund!«

Karla winkt ab: einen Hund. Soso. Toll. Einen Hund hat sie auch. Ihr Bruder Paul also auch. Bruder und Schwester teilen zwar nicht alles. Eigentlich teilen sie sehr wenig, wenn man darüber nachdenkt. Die wichtigsten Dinge vielleicht noch, die, von denen nur eines da ist: eine Mutter zum Beispiel oder eine Wohnung. Aber schon den Vater teilen sie nicht unbedingt, von denen gibt es auch bei ihnen beiden schon zwei, und manchmal teilen sie nicht mal die Mutter und nicht mal die Wohnung.

Aber kaum dass von etwas mehr da ist, teilt man es nicht mehr: das Bett. Den Stuhl. Stifte. Ein Fahrrad. Bücher. Sie leihen sie einander, aber sie gehören immer der einen oder dem anderen, Paul oder mir. Das ist nicht anders als mit der besten Freundin. Esma kann alles von Karla haben, aber sie muss fragen. Paul auch. Und will Nadine eines von Karlas Büchern, muss sie ihn fragen, nicht mich. Pauls Bücher sind allerdings dermaßen voll von Dinosauriern und Außerirdischen, dass höchstens ein Außerirdischer sie mit ihm teilen möchte. Lesen kann man die nicht.

Ihr Hund gehört aber definitiv zu den Dingen, die sie teilen. Wie den Tisch, und wie die Badewanne. Und Mama. Es kommt ihr manchmal in den Sinn, sie nicht mehr zu teilen, wenn Paul wieder so scheiße peinlich ist, dass man sich fragt, ob er vielleicht doch adoptiert war. Oder im Krankenhaus vertauscht. Ein anderer Vater allein reicht da nicht zur Erklärung aus: das wären immer noch die Hälfte ihrer Gene, die sie teilt. Aber Mama bestreitet das immer: »So dick wie ich in der Schwangerschaft mit ihm war, kann er gar nicht vertauscht worden sein.« Guter Punkt, aber dennoch: als gäbe es nicht andere dicke Kinder, mit denen man Paul hätte vertauschen können damals im Krankenhaus. »Ich gehöre euch beiden gemeinsam«, sagt Mama.

Ihr Hund gehört aber definitiv zu den Dingen, die sie teilen. Wie den Tisch, und wie die Badewanne.

Wuff auch. So heißt Karlas Hund. Und Pauls Hund. Der Name stammt natürlich von Paul. Wuff. Voll peinlich. Findet sogar Paul selber. Heute. Aber als Wuff noch ganz klein war und ganz neu in ihrer Familie, war Paul auch noch ganz klein. Er konnte fast nichts sagen. Zumindest hat er nichts gesagt, das irgendwer verstanden hätte. Aber »Wuff« hat er ständig gesagt und auf Wuff gezeigt. Und ist ihm auf allen Vieren nachgekrochen. Als sei er selber ein Hund. Allerdings hat Wuff nie zurückgewufft oder auf Paul gezeigt. Nur an seinem Hintern gerochen. Aber das tun Hunde halt so, auch bei anderen Menschen.

Wuff auch. Bei Mama zum Beispiel, wenn sie ihre Tage hat oder wenn sie mit Kürşat in der Nacht Sex hatte. Kürşat ist der neue Freund von Mama. Ein Hund hat eine bessere Nase als ein Mensch, denn Karla riecht an Mama nichts Besonderes nach diesen Nächten, an denen sie mit Kürşat in der Nacht Sex hatte. Am Anfang hat Karla Kürşat auch an ihr gerochen. Nicht nur nach dem Sex in der Nacht, sondern auch sonst. Aber Männer riechen einfach anders als Frauen, und bald hatte sich Karla an den neuen Geruch von Mama und Kürşat gewöhnt. Und daran, dass sie nun gelegentlich den Tisch und das Sofa mit Kürşat teilen musste. Und Mama.

»Eine Mutter gehört zu denen Dingen, die nicht weniger werden, wenn man sie teilt.« Und ein Sofa. Naja. Mehr werden die aber auch nicht, wenn man sie teilt. Auf dem Sofa zum Beispiel wird es schon enger, wenn Kürşat da ist. Oder wenn Paul wieder Wuff drauf lässt. Wuff gefällt das auch, wenn er auf dem Sofa ist. Am besten mit anderen. Die er kennt. Seit Kürşat bei Mama ist, sitzt er aber weniger auf dem Sofa. »Der hat dort nichts verloren«, schreit Kürşat, wenn er das mitkriegt, »ein Hund ist schmutzig und macht das Sofa schmutzig!« Dabei macht er das Sofa schmutzig, nicht Wuff, weil er dauernd zum Fernsehen isst. Das tut Wuff nicht. Das tut niemand sonst, denn ihnen hat Mama das Essen auf dem Sofa verboten. Seit je. Das ist auch gut so, so wie Paul manchmal frisst: wie ein Hund. Oder schlimmer: ein Vieh, oder schlimmer. Vor allem den Döner, den Kürşat manchmal mitbringt, obwohl Mama gekocht hat. Ein Döner bleibt dann übrig, oder zwei, denn Mama will, dass wir essen, was sie gekocht hat. Naja.

Paul hat den Hund gerne beim Fernsehen dabei. Karla nicht. Sie kann sich nicht daran gewöhnen: an die Enge auf dem Sofa. Vielleicht gewöhnen sich Hunde genausowenig an einen neuen Geruch oder an einen neuen Menschen, wie Karla sich an Enge gewöhnen kann. Sie hat sich an Kürşat gewöhnt, aber nicht neben ihr auf dem Sofa. Den interessiert das gar nicht, der hat lieber Mama neben sich und ein Bier in der anderen Hand. Das war bei Maul anders. Maul ist Pauls Vater. Der wollte Karla immer neben sich auf dem Sofa haben, und Mama im anderen Arm. Maul war nicht lang genug bei ihnen, um seinen Arm auch um Paul zu legen. Vielleicht hätte er das aber nie gemacht, weil Paul ja ein Junge ist. Um Wuff wahrscheinlich auch nicht, weil Wuff ja ein Hund ist. Esma sagt das auch, und dass Jungs es sowieso viel besser hätten. Esma hat drei Brüder, sie muss es wissen, meint Esma. Sie ist aber das erste Mal zu ihnen gekommen, als Maul schon weg war.

Wuff ist auch erst zu ihnen gekommen, nachdem Mama Maul ausgesperrt hatte, mit dem neuen Schloss und dem neuen Schlüssel. Sie wollte die Wohnung nicht mehr mit ihm teilen. Denn Maul wollte Mama nicht teilen. »Ich gehöre niemand. Nur mir selber.« Oder wollte Mama Maul nicht mehr teilen? »Meine Tochter gehört dir nicht, und Paul siehst du auch nicht mehr, wenn ich nicht will.« Sie teilen sich das Sorgerecht, aber Maul ist weg, und das ist gut. Auch wenn alles andere schwierig ist. Denn ein Sohn wird nicht mehr, wenn man ihn teilt, sagt Paul. Sie weiß das nicht, weil sie nie mit einem Vater geteilt wurde. Aber Paul sagt, ohne Papa ist ganz sicher nicht so schlimm, wie mit seinem Papa geteilt zu werden. Tja. Trotz der Geschenke. Aber um die geht es sogar Paul schon nicht mehr, obwohl er erst acht ist. Mit dem Alter werden Geschenke weniger wichtig. »Mein bestes Geschenk im ganzen Leben war Wuff!« Naja. Abwarten.

»Mit einem Hund nebenan hat Wuff einen Freund!«

Wuff guckt jetzt auch ganz aufgeregt durch die Tür. Freut er sich auch? »Ja? Abwarten.«

»Du wirst schon sehen!«