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Strohfeuerwerk

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Jana ertrug es nicht mehr: sie krisch die Augustaanlage rüber und den Kaiserring Mannheims hinunter und die paar Dutzend Meter bis zum Rosengarten hinauf, die Hände auf den Ohren, das Kinn an der Brust, ein Weihnachtsstern der akustischen Art. Ihr Kreischen gellte in die Q, die P und die O, in den M-Hof und die L und oben die Fressgass, die Moltke eh, die Schwetzinger sogar und letztendlich noch die Schlossgarten und die Lanz. Alles krisch sie raus, den Rücken zum Wasserturm am Friedrichsplatz, sie kam aus dem nicht mehr raus.

Ihre Freundinnen schauten sie irritiert an, deren Lebensgefährtinnen hielten inne beim Zünden der Lunten, hier und da zögerten Fremde, vereinzelt, dann mehr, dann alle, bis vor zum Hauptbahnhof: den Schmerz im Ohr die nahen, den Neid im Rumpf die fernern, auf so viel Beachtung, muss eine doch wollen, wenn die so kreischt an so einem Tag, schließlich die ganz fernen, die bloß mitfeiernden, bloß gekippte Steine im Stilledomino, »was haben heute denn alle?« im Sinn.

Neid, doch, auf die doch originellere Feuerwerkseinheit von einer dahinten – oder -vorne, wer wagte das Schweigen zu orten –, den Mund selber offen, die Ohren eigentlich zu, ganz Aug und »?«, den Blick gefroren auf den schrillen Schrei, der zu sehen nur von den Nächsten war als Kondenswasser vor Janas Mund.

Worin das Böllern ausploppend erlahmte, bis die kritische Masse zur Stille unterschritten war, ein Narr noch oder zwei störten die Brache, Unterstreichung des abwesenden Lärms.

Ursache oder Wirkung? Weder gar, aber auch noch nicht?

Nein.

Es ging recht schnell.

Keine Stille ist stabil, jede relativ.

Diese war massiv genug, dass Jana stutzte und den Kopf zurück rückte in die Masse, aufrichtend sich zur Bahnhofsuhr um vier nach zwölf, das war nicht lang. Und hielt noch an, in einer anderen Welt: Raketenfunken am Himmel sind dir nicht echt, wenn du sie nicht singen und krächzen hörst, das trieb & treibt die Massen mitternachts nach draußen. Nicht hörte Jana auch die Masse Menschen vor dem Bahnhof, doch sie sah sie starr. Und klatschte in die Hände. Zweimal. Dreimal. Ein viertes Mal, die Hände nun nicht trennend: »Das reicht doch.« Und: »Das vertreibt sie doch auch.«

Eine stumme Träne ruckelte vom linken Aug aus ihrer Oberlippe entgegen und nickte nach der Ankunft mit Janas Kopf. Zweimal, ein feuchtes Kalb auf wankem Bein, erstgeboren, bloß dass es mit der Nun-nicht-mehr-Kalbin lächelte. Dies Bild bewegt, wird erben das Präsens in vielen Hirnen der Nation, sobald es digital verfügbar geworden sein wird. Jana klatscht erneut, nur dreißig Schläge die Minute, nun ohne aufzuhören, Schlag um Schlag, ohne Rhythmus, zumindest keinem, der sich den Nicht-sies erschlossen hätte, damals bis heute.1

Irgendwo auf Höhe der Fressgass stimmt eine ins Klatschen ein. Janas Freundin Stefanie fragt halblaut, »was wird das jetzt noch?« Ihre Lebensgefährtin pschschscht Stefanie bedächtig zur Ruhe: Denise kann Jana nicht ausstehen, ihre Überempfindlichkeit, ihr passiv-aggressives Prinzessinnengebaren, wie sie es nennt, die Erbse im Sinn, aber spürt doch, wie hier ein Moment ins Denkwürdige zu wachsen beginnt: ein zweites, ein drittes Klatschen kommen ebenfalls von der Fressgass, dann eine Handvoll von Höhe der des M-Hofs, dann auch vom Friedrichsplatz. Denise aktiviert die Kamera ihres Smartphones und filmt Jana, nicht als einzige, wie sie auf dem Bildschirm sieht, Jana klatscht, Stefanie inzwischen ebenfalls, auch Gunter und Nils, Ralph-Peter lacht bei seinen Schlägen, schüttelt den Kopf, murmelt, »reicht doch auch, ha haha ha khrrrhrr«, Denise schwenkt ihre Doppellinse, das Bild wird gut sein, auch in der Dunkelheit, bloß hoffen kann sie auf brauchbaren Ton.

0:12 Uhr ist es, erst sieben Minuten seit Jana begann zu kreischen. Inzwischen klatschen alle Feiernden vom Wasserturm bis zum Hauptbahnhof. Sie stehen jetzt dichter, es droht keine Gefahr von Böllern oder Raketen, hier und da streift eine Filmende an einer Klatschenden beim stummen Dokumentieren des Neujahrsatems, kaum einer lächelt, fast keiner lacht, man ist noch gespannt vom Neuen im neuen Jahr, bei der Sache, wie man es nur mit den eigenen Händen sein kann.

»Ganz schön laut«, wundert sich einer an der Werderstraße zu seinem Schwager. Der prahlt spontan, »das geht noch lauter!« Bückt sich zu einer Packung Böllern und greift sich einen raus. Sein Schwager grinst: »Mach zwei, dann ist’s wie Klatschen!«, was gar nicht stimmt, denn Böller haben keine Hände; zudem werden sie beim Krachen versehrt. Die Lunte des ersten Böllers brennt im Flug auf die Augustaanlage zu nem Viertel runter, das erste Viertel war schon in der Hand des ersten Schwagers weg, die Viertel drei und vier folgen, von der Silvestermassen unbemerkt, erst der Knall ließ sie aufhorchen, zunächst die Leute an der Augustaanlage, am Friedrichsplatz schwenkten einige Köpfe nach Westen rüber. Der Augenblick hat nicht verweilt. Der Rhythmus stolperte, der zweite Böller flog, der zweite Schwager rief, »es geht noch lauter!«, der erste Schwager gröhlte, »Partyyyyyyyy!!«

Hier und da ploppte ein weiterer Böller, am Pelikanbrunnen machte schließlich eine Schnellfeuersequenz von rot und gelb leuchtenden Böllern den letzten Klatschern ein Ende, die letzten Smartphonekameras wurden, als sei das Feuerwerk nicht einmal der Anlass für das Filmen gewesen, geschlossen nach einem letzten Schwenk über die Umstehenden und eine oder zwei Straßenfluchten, während Stefanie ihre rechte Hand auf Janas Oberarm legte, »Jana?« Jana zuckte die rechte Schulter und legte den linken Arm um Stefanies Hüfte. »Dabei hätte das Klatschen doch auch gereicht, um das alte Jahr zu vertreiben.«

»Nichts wird je reichen.«

»Eben.«


  1. Vgl. dazu Karring-Thon, M.: Statistical analysis of Jana Horn’s new year’s eve’s clapping. Journal of Materialistic Music Research 3. Marburg 2029. S. 11-19 ↩︎