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Stomatopoda

Die Nichse

Ein Horrorthriller

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„Nichs wird mit x geschrieben“, harrscht Barbaro seine Lebensabschnittsgefährtin an. „Kapierst du es denn nie?“

„Oder willst du mich ärgern? Ich glaube, du machst dich die ganze Zeit über mich lustig.“ – „Nein, gahr nicht, ich schreibe ausfersehen so, es kommt von ganz alleine. Ich kann nixs dagegen thun.“

Das war seit jeher derer beiden (– oder deren beider –) Streitthema: die Rechtschreibung. Mit Sätzen wie: „eher ne Linksschreibung, was du da machst“, „sach mal, siehst du dat denn nicht?“ und „mach die Augen auf! Das wird mit „x“ geschrieben!“ wird Helmutta täglich angeblafft.

56 Jahre dauert ihre Liebe schon, und noch immer kommen sie nicht darüber hinweg. Das hat einen mageren Grund: Helmutta ist nämlich eine Nichse. Sie fühlt sich den Fehlern hingezogen, wird wie ein Magnet von ihnen erfasst und kann es wieder und wieder nicht lassen. Sie fehlert und schmiert und schreibt ständig „nichs“ überall hin, zum Beispiel auf die Tapete.

Das war schon immer so. Barbaro hätte aufmerksamer sein müssen, hätte seinen Lebensmenschen besser im Auge behalten sollen und erst einmal hereinlassen. Er schaut Helmutta nie so richtig an. Er weiß ja, wie sie aussieht, denkt er insgeheim in sich hinein. Doch ganz so einfach ist es nicht, und das weiß er nicht. Hätte er es bloß! Wäre!

Helmutta ist nämlich eine Nichse und verwandelt sich naxts in eine Achst, zumindezt unten rum. Ihre Hose platzt dann (deswegen bleibt sie im Nachthemd, ohne Schlüpfer, weil sie schon bescheid weiß) und ihre Beine schmelzen zur Achst zusamen. Oben rum bleibt alles gleich, daher ist es Barbaro vieleicht nie aufgefallen. Die Achst ist schaf wie eine Ritze. Wie geritzt. Mit scharf.

Am 16. Januar 2024, um 0:01 Uhr, passiert eine unerhörte Begebenheit: Barbaro betrachtet erstmals seit Jahrzehnten seine Frau. Er sieht sie sich an. Er merkt, dass sie irgendwie komisch aussieht, und wird von Ersetzen ergriffen. In dem Moment – im selben Augenblick – just! – gerade jetzt – passiert es. (Was passiert, wird hier nicht beschrieben, denn die Fantasie soll hier angeregt werden. Die Fantasie der Leserin. Denn die Grausamkeit ist noch größer, wenn man sie sich vorstellt. Eine Enttäuschung ist nicht möglich).

Am Morgen des 17. Januar (also am nächsten Morgen) strahlt ein Sonnenstrahl ins Zimmer. Das Sofa ist übersät von Fleischfetzen, wie von einer Achst zerfetzt. Das Blut übersät die Wände, den Boden, man sieht Barbaros Kopf mit aufgerissenem Mund und herausglubschenden Augen auf dem Teppich. Das Gehirn liegt neben ihm. Er guckt es an, könnte man meinen. Die allwissende Erzählerin weiß: Die Nichse ist nach ihrer Tat geplatzt.

Und wenn sie nicht gestorben ist (was sie ja ist), dann gibt es sie noch heute (also nicht).